Positionen und Forderungen der Sans-Papiers-Kollektive Basel

Freiheit und Selbstbestimmung für alle – und in Basel!

Wir sind Migrant:innen. Migrant:innen, die angekommen sind. Angekommen an einem Ort, an dem ein Papier zum Ankommen fehlt. Wir sind Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung. Wir sind Sans-Papiers.

Unser gemeinsames Ziel ist die kollektive Regularisierung. Mit unseren Positionen zeigen wir auf, warum die Regularisierung unerlässlich ist auf dem Weg in eine bessere Welt, in der sie gar nicht mehr notwendig wäre. Und mit den Forderungen konkretisieren wir, was alles sofort hier in Basel verändert werden kann, solange wir noch für die Regularisierung kämpfen müssen.


Grosse Veränderungen für eine Welt, in der alle frei und selbstbestimmt leben können

Wir organisieren uns, weil wir Teil sind der Gesellschaft, und Teil ihrer Verbesserung. Wir möchten in einer Welt leben, in der alle Menschen frei und selbstbestimmt leben können. Wir wissen, dass dies nur mit grossen Veränderungen möglich sein wird.

Möglichkeiten unabhängig von der Herkunft
Der Kolonialismus und der Kapitalismus haben dazu geführt, dass es grosse Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten auf der Welt gibt. Die Verhältnisse halten gewisse Regionen und bestimmte Menschen in Armut, während andere profitieren und reicher werden. Wir möchten in einer Welt leben, in der Menschen ihr Zuhause nicht verlassen müssen. In einer Welt, in der es überall für alle Menschen Sicherheit und Perspektiven gibt. Darum stehen wir ein für eine Welt ohne Kapitalismus.

Möglichkeiten unabhängig vom Aussehen
Rassismus dient dazu, diese Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu rechtfertigen. Wir erleben Rassismus, wenn wir uns dafür entscheiden müssen, unsere Heimat zu verlassen, weil es in den reichen Ländern mehr Möglichkeiten gibt. Und wir erleben ihn, wenn uns im Alltag nichts zugetraut wird oder wir diskriminiert werden. Wir möchten in einer Welt leben, in der es nicht unterschiedliche Möglichkeiten je nach Geburtsort gibt. In einer Welt ohne Zuschreibungen aufgrund von Herkunft oder Aussehen. Darum stehen wir ein für eine Welt ohne Rassismus.

Möglichkeiten unabhängig vom Geschlecht
Auch das Patriarchat prägt unsere Leben. Es gibt uns als Menschen ganz bestimmte Möglichkeiten und schliesst andere aus. Es spielt eine Rolle bei unsere Entscheidungen, zu migrieren, bei unserer Verantwortung für unsere Familien, bei unseren Arbeitsmöglichkeiten hier, bei dem, was uns zugetraut wird. Wir möchten in einer Welt leben, in der Menschen alle Möglichkeiten offen stehen, unabhängig von ihrem Geschlecht. In einer Welt ohne Wertungen zwischen verschiedenen Geschlechtern. Darum stehen wir ein für eine Welt ohne Patriarchat.

Wir sehen uns und unsere Kämpfe als Teil der Bewegung hin zu einer solchen Welt ohne Kapitalismus, Rassismusund Patriarchat.


Kleine Schritte für eine Stadt für alle

In unseren Leben spüren wir all diese Verhältnisse. Wir sind hierher gekommen, weil es hier mehr Sicherheit und Perspektiven gibt als da, wo wir herkommen. Wir sind hier angekommen und Teil der Gesellschaft, auch wenn uns die Anerkennung und die Bewilligungen fehlen. Alleine die Tatsache, dass wir den Weg auf uns genommen haben und unsere Leben hier leben, ist Teil der Veränderung für eine gerechtere Welt.

Als Sans-Papiers müssen wir täglich kämpfen. Wie unzählige andere Migrant:innen, mit oder ohne Papiere, auf der ganzen Welt. Wir sehen uns als Teil einer weltweiten Bewegung. Aber wir leben und organisieren uns in der Region Basel. Daher gilt unser Fokus der Verbesserung unserer Situation hier. Wir mögen die Stadt, die Region und die Menschen. Wir freuen uns, hier eine neue Heimat gefunden zu haben. Aber es ist nicht leicht, ohne Bewilligung hier zu leben. Leider ist vieles nicht so offen, wie die meisten denken.

Damit Basel wirklich eine Stadt und Region für alle ist, braucht es noch einige Veränderungen.

Regierung
Basel braucht eine Regierung, die Sans-Papiers als Teil der Region anerkennt und unsere Anliegen ernst nimmt. Das würde heissen, die Behörden anzuweisen, einen anerkennenden Umgang mit Sans-Papiers zu finden. Viele der Vorschläge hier könnten von der Regierung direkt umgesetzt werden. Es würde auch heissen, die Interessen der Sans-Papiers auch beim Bund zu vertreten und die kantonalen Spielräume zu vergrössern.

Migrationsamt
Basel braucht ein Migrationsamt, welches die Möglichkeiten zur Integration und Regularisierung von Sans-Papiers nutzt, statt die primäre Aufgabe in deren Erfassung, Wegweisung und Ausschaffung zu sehen. Dazu muss die Praxis in vielen Bereichen geändert werden. Bei den Härtefällen und den Lehrstellenbewilligungen muss das Migrationsamt Gesuche mit weniger Aufenthaltsjahren als bisher gutheissen und diejenigen Beweise für den Aufenthalt akzeptieren,
die wir haben. Nach drei Jahren sind wir angekommen, wie auch die gesetzliche Regelung bei einer Scheidung besagt. Ein Familiennachzug muss möglich sein, ohne ausreisen und ohne unzählige persönliche Fragen beantworten zu müssen, und das zukünftige Einkommen der zweiten Person muss angerechnet werden. Zudem braucht es einen sofortigen Stopp von Zwangsmassnahmen gegenüber Sans-Papiers, also auch keine Ausschaffungshaft mehr für diese. Wir leben hier und können nicht einfach so aus unseren Leben herausgerissen werden.

Polizei, Strafverfolgungsbehörden, Gerichte

Basel braucht eine Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Gerichte, welche die grundlegenden Rechte der Sans-Papiers und den Schutz vor Straftaten ihnen gegenüber höher gewichten als den nicht bewilligten Aufenthalt. Mittels einer Praxis, die bei Anzeigen oder Verfahren nicht nach der Aufenthaltsbewilligung der anzeigenden oder anklagenden Person fragt (Frag-nicht-Politik), muss die Möglichkeit geschaffen werden, dass Sans-Papiers Straftaten anzeigen und beispielsweise bei Arbeitsstreitigkeiten auch vor einem Gericht klagen können – ohne die Konsequenz, dafür aus der Schweiz weggewiesen zu werden. Insbesondere wichtig ist der risikofreie Zugang zur Strafverfolgung in unmittelbaren Gewaltsituationen (Gewalt gegen Frauen, Menschenhandel etc.).

Polizei

Basel braucht eine Polizei, die keine rassistischen Personenkontrollen durchführt. Wenn wirklich eine Kontrolle notwendig ist, soll sie nicht nach der Aufenthaltsbewilligung fragen. Es darf nicht mehr Schwerpunkt der Polizei sein, Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung zu finden. Zudem müssen die rassistischen Kontrollen aufhören. Personen sollen nicht mehr aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Aussehens oder ihrer Kleidung kontrolliert werden.

Finanzielle Überbrückungshilfe

Basel braucht finanzielle Überbrückungshilfen für Notsituationen von Menschen ohne Aufenthaltsbewilligungen – ohne dass diese Angst haben müssten, deswegen direkt mit Wegweisung und Ausschaffung konfrontiert zu werden. Auch als Sans-Papiers gibt es Situationen, in denen kurzfristig das Einkommen wegfällt, bei Krankheit, Schwangerschaft, Unfall oder einem Arbeitswechsel, und kurzfristige finanzielle Unterstützung notwendig ist.

Grauarbeit

Basel braucht ein Verständnis von Arbeit, das die Einhaltung der Arbeitnehmendenrechte sowie die Versicherung für die Sozialleistungen über das Vorliegen einer Arbeitsbewilligung stellt (Grauarbeit). Dies muss sich in den Arbeitskontrollen zeigen, bei denen erstere und nicht die Bewilligung überprüft werden. Entsprechend müssen auch Arbeitsmärkte für Sans-Papiers geöffnet werden, so dass die Anstellung für alle Seiten risikofrei möglich wird. Zudem müssen die Ausbildungen und Zertifikate, die viele Sans-Papiers aus ihren Herkunftsländern mitbringen, anerkannt werden. Die Arbeitgebenden müssen die Arbeitsrechte respektieren und auch bei Ferien und Krankheit Löhne bezahlen.

Zum Glück funktioniert einiges in Basel gut. Da ist es wichtig, dass es keine Rückschritte gibt. Zudem sind noch Verbesserungen möglich.

Öffentliche Dienste
Viele öffentliche Dienste sind in Basel für Sans-Papiers zugänglich, ohne dass wir Angst haben müssten, an die Migrationsbehörden verzeigt zu werden. Es ist wichtig, dass diese Praxis, die nicht nach der Aufenthaltsbewilligung fragt (Frag-nicht-Politik) behördenübergreifend angewandt und aktiv kommuniziert wird.

Gesundheitsversorgung
Krankenversicherungen können wir glücklicherweise durch die Vermittlung der Anlaufstelle abschliessen. Armutsbetroffene Sans-Papiers unterstützt der Kanton Basel-Stadt auch mit Prämienverbilligungen. Im Kanton Basel-Landschaft wäre wichtig, dass diese Unterstützung auch gewährt wird. Zudem ist für armutsbetroffene Sans-Papiers wichtig, dass auch für die anfallenden Gesundheitskosten finanzielle Unterstützung möglich ist. Gesundheit sollte auch in einem umfassenden Sinne verstanden werden und die Versorgung auf die spezifischen Lebensgeschichten und Erfahrungen von Migrant:innen eingehen. Insbesondere wichtig sind die psychische Gesundheitsversorgung, und die Begleitung und Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Familien.