Papyrus Basel / Regularisierung?Jetzt!

Sans-Papiers fehlt meistens ein einziges Papier – eine Bewilligung, die zum Aufenthalt und zur Arbeit berechtigt. Die Kampagne Papyrus Basel / Regularisierung? Jetzt!kämpft für eine offenere und zugänglichere Härtefallpraxis im Kanton Basel-Stadt.

Über viele Jahre hinweg hat das Migrationsamt Basel-Stadt nur Sans-Papiers regularisiert, die entweder mit seit mehreren Jahren eingeschulten Kindern leben oder schwere Krankheiten haben. Für alle anderen war das Härtefallgesuch keine Möglichkeit. Mit dem Druck der Nicht ohne unsere Freund*innen!-Kampagne konnte diese restriktive Praxis öffentlich gemacht und gestürzt werden. In der Folge der Kampagne wurde deutlich, dass das Migrationsamt etwas an seiner Härtefallpraxis ändern muss.

Im Februar 2016, kurz nachdem die Sans-Papiers der Nicht ohne unsere Freund*innen!-Kampagne ihre Bewilligungen erhalten haben, wurde zudem die Genfer Opération Papyrusöffentlich. Mit dieser hat der Kanton Genf eine klare und transparente Regularisierungsmöglichkeit für Sans-Papiers geschaffen und mittlerweile haben mehrere Tausend Sans-Papiers Bewilligungen erhalten. Der Grosse Rat hat dann im Sommer 2017 einen Anzug deutlich an die Basler Regierung überwiesen, in dem er ein solches Modell auch für Basel fordert.

Etwa zur selben Zeit haben sich auch immer mehr Sans-Papiers in Basel organisiert und die Entwicklungen interessiert verfolgt. Für das Jahr 2018 hat die Vollversammlung der Sans-Papiers-Kollektive Basel entschieden, unter dem Titel Regularisierung? Jetzt! das Thema auf die Strasse zu tragen: zuerst mit einem überwältigenden Sans-Papiers-Block am 1. Mai in Basel, dann an der schweizweiten Zwischen uns keine Grenzen-Demonstration in Bern und schliesslich mit einer grossen Demonstration zur Einreichung von 10 Härtefallgesuchen im November 2018.

Mit den eingereichten Gesuchen wird die neue Basler Härtefallpraxis getestet. Das Migrationsamt hat in den Jahren 2017 und 2018 ein neues Merkblatt zu der Härtefallregelung entworfen und einige Anpassungen an der Praxis vorgenommen. Die Anlaufstelle hat in dieser Zeit immer wieder versucht, mit dem Justiz- und Sicherheitsdepartement und dem Migrationsamt in Kontakt zu kommen, um die sich immer wieder andeutenden Verschärfungen abzuwenden und eine pragmatische und funktionierende Lösung zu finden.

Im Jahr 2019 wird sich zeigen, ob eine solche Lösung in Basel möglich ist.

Rede an der Demonstration zur Einreichung der Härtefallgesuche am 14. November 2018 vor dem Rathaus am Marktplatz

Sehr geehrte Frau Staatsschreiberin, sehr geehrte Grossrätinnen und Grossräte, sehr geehrte Anwesende

Mit grosser Schwierigkeit reichen wir heute 10 Gesuche unserer Freundinnen und Freunde ein. Sie und wir alle leben – oft überleben – hier in Basel. Wir sind Teil dieser Stadt, dieser Gesellschaft, des Lebens hier. Wir tragen etwas dazu bei, dass die Stadt Basel das ist, was sie alle schätzen und nach aussen repräsentieren. Das weltoffene Basel, das humanitäre Basel, die Kulturstadt Basel: wir gehören dazu. Ohne uns wäre die Stadt nicht dieselbe – mit Sicherheit wäre sie mit weniger Freude!

Wir haben uns gefreut, dass der Grosse Rat uns zugehört und einen Anzug deutlich überwiesen hat, um Sans-Papiers zu regularisieren. Jetzt brauchen wir aber eine konkrete Lösung, die funktioniert und wirklich zu Regularisierungen führt.

Das Merkblatt vom Migrationsamt ist sicher ein wichtiger Schritt. Endlich gibt es aufgeschriebene Kriterien. Die Kriterien sind aber viel zu hoch und ausgrenzend. 10 Jahre Aufenthalt sind eine Ewigkeit, sind ein ganzes Leben. Und nie ein Asylgesuch gestellt zu haben ist für viele nicht möglich. Und für viele ist es schwierig, alles belegen zu können. Die Kriterien und die Verfahren müssen einfacher werden, sonst wird es nicht möglich, Sans-Papiers zu regularisieren.

Das Migrationsamt hat bisher viele unserer Gesuche abgelehnt. Zum Glück haben alle nach langem Kämpfen trotzdem eine Bewilligung erhalten. Dieses Mal hoffen wir, dass endlich auch das Migrationsamt den Anträgen zustimmt. Sie alle, Grossrätinnen und Grossräte, müssen nun ein Auge darauf haben, dass die im Anzug geforderte Regularisierug möglich wird. Wir zählen darauf, dass Sie ihr Wort halten.

Von der Regierung erwarten wir, dass sie endlich Verantwortung übernimmt. In Genf hat die Regierung die Opération Papyrus eingeführt, in Zürich hat die Regierung Sans-Papiers öffentlich anerkannt und sucht nach Lösungen. Es ist höchste Zeit, dass auch die Regierung in Basel handelt. Wir verdienen Anerkennung, und brauchen Bewilligungen für unsere Sicherheit. Wir haben uns entschieden, einen Brief an die Regierung zu schreiben, um Antworten zu erhalten. Schade, dass niemand von der Regierung den Brief persönlich entgegen nimmt. Hiermit übergebe ich Ihnen, Frau Staatsschreiberin, den Brief an die Gesamtregierung. Wir hoffen auf eine baldige Antwort und sind offen für eine Diskussion.

Wir bedanken uns für die Aufmerksamkeit und hoffen auf eine positive Antwort, die uns Sans-Papiers endlich als Teil von Basel anerkennt – mit einer Haltung, aber auch mit konkreten Ergebnissen.

Kein Mensch ist illegal – Bleiberecht überall!

Zwischenstand zu Papyrus Basel November 2018

Seit über einem Jahr ist die Überarbeitung der Härtefallregelung für Sans-Papiers nun Thema beim Migrationsamt Basel-Stadt. Nach den im Nachhinein eingestandenen falschen Härtefallentscheiden des Amtes vom Sommer 2016 und dem Anzug betreffend Legalisierung von Sans-Papiers nach dem Muster des Kantons Genfvom Sommer 2017 musste sich etwas verändern.

Nach einem Gespräch mit Vertreter*innen der Regierung, des Justiz- und Sicherheitsdepartements und des Migrationsamts hat die Anlaufstelle im Zwischenstand vom März 2018 bereits folgende Punkte festgehalten und ausgeführt:

  • Keine Opération Papyrus: Keine Lösung nach dem Genfer Modell zur Regularisierung einer Bevölkerungsgruppe mit dem Ziel der Bekämpfung von Schwarzarbeit.
  • Verbesserungen der Härtefallregelung: Ansätze einer Klärung der Härtefallregelung für ausgewählte Einzelpersonen, aber noch viele offene Fragen bezüglich der Umsetzung.
  • Langer Weg zu einem pragmatischen Lösungsansatz: Konsequente Behandlung von Sans-Papiers durch die Basler Regierung und das Migrationsamt als delinquente Ausländer*innen.

Nun, ein halbes Jahr später, ist es Zeit, den aktuellen Zwischenstand fest zu halten und die nächsten Schritte zu gehen.

Veränderungen, aber Befürchtung einer restriktiven Praxis

Es verändert sich etwas mit der Härtefallregelung im Kanton Basel-Stadt, wie sich mit dem neuen Merkblatt zeigt. Da das Migrationsamt nicht mit der Anlaufstelle über wichtige Punkte für die Rechtsvertretung kommuniziert (beispielsweise die Frage, wann ein Kriterium für das Migrationsamt als ausreichend belegt gilt), bleiben aber noch viele Unklarheiten. Zudem deutet sich bei der Umsetzung in ersten Einzelfällen an, dass die Praxis sehr restriktiv werden könnte.

So wurde bekanntlich bereits 2017 eingeführt, dass auf Grundlage von Informationen aus dem Härtefallverfahren Strafverfahren eingeleitet werden. Neben der Verletzung von Treu und Glauben der Sans-Papiers, welche die Informationen angeben, ist die Vermischung von Verwaltungs- und Strafverfahren rechtlich höchst problematisch. Und sie verhindert den Sans-Papiers und ihrem Umfeld, detailliertere Angaben zu ihrer Situation zu machen.

Unter diesen Bedingungen verlangt das Migrationsamt seit diesem Jahr von den gesuchstellenden Sans-Papiers bereits im Härtefallverfahren die Einreichung von Arbeits- und Mietverträgen. Da es kaum Arbeitgebende und/oder Vermietende gibt, die unter den derzeitigen Umständen Verträge ausstellen, werden damit unerfüllbare Beleghürden eingeführt. Insbesondere schwierig ist diese Anforderung für die vielen Sans-Papiers, die in Privathaushalten arbeiten.

Die genannten Veränderungen lassen eine restriktive Praxis befürchten, welche die allermeisten Sans-Papiers – sogar bei eigentlichem Erfüllen der Kriterien – von einer Regularisierung ausschliesst. Noch unverständlicher wird die neue Anforderung, Arbeitsverträge einzureichen, da die Regierung in ihrer Stellungnahme zum Anzug vom April 2018 explizit festgehalten hat, dass gesuchstellende Sans-Papiers „in Basel-Stadt auch künftig den bisherigen Arbeitgeber nicht zu nennen“ brauchen.

Notwendigkeit einer anerkennenden Haltung der Regierung

Es braucht aber nicht nur die Behörden für eine funktionierende Härtefallpraxis, es braucht auch eine entsprechende Haltung der Regierung. Die Basler Regierung muss anerkennen, dass (nach Schätzungen des Staatssekretariats für Migration) 4000 Sans-Papiers im Kanton Basel-Stadt leben und Teil der Basler Gesellschaft sind. Und sie muss entsprechend handeln, nicht zuletzt auch zur Erfüllung des deutlich überwiesenen Auftrags zur Regularisierung von Sans-Papiers aus dem Grossen Rat. Wie bereits Genf mit der Opération Papyrus und Zürich mit der Stellungnahme der Stadtregierung vorgemacht haben, ist es heute entscheidend, dass die Stadtregierungen den urbanen Realitäten pragmatisch begegnen.

Für die Veränderungen in der Härtefallpraxis muss das heissen, dass die Regierung endlich ihren Handlungsspielraum nutzt und die Kriminalisierung der Sans-Papiers und ihres Umfeldes stoppt, also auch auf die Einleitung von Strafverfahren aus Informationen aus Härtefallgesuchen verzichtet. Zudem muss sie in den Veränderungen im Härtefallverfahren Verantwortung übernehmen und auf eine Lösung hinarbeiten, die Regularisierungen ermöglicht (und nicht erschwert, wie die obigen Befürchtungen andeuten). Dazu gehört schliesslich, dass die Regierung Haltung zeigt und öffentlich wahrnehmbar kommuniziert, dass Sans-Papiers Teil der Stadt sind und Regularisierungen möglich werden. Dies ist unbedingt notwendig, damit die Sans-Papiers überhaupt Vertrauen fassen und sich melden.

Anonyme Gesuche als nächster Klärungsschritt

Wir haben uns dazu entscheiden, wieder anonyme Gesuche einzureichen, um weiter voran zu kommen. Die zehn Gesuche erfüllen die Kriterien des neuen Merkblattes des Migrationsamtes. Mit ihnen soll geprüft werden, inwiefern die Veränderungen an der Härtefallpraxis nun wirklich praktikabel sind. Wir erhoffen uns zudem eine Klärung der offenen Fragen durch das Vorliegen von konkreten Fällen sowie die ersten zehn Regularisierungen nach dem neuen Merkblatt. Auch wenn der ganze Prozess langwierig und harzig verläuft, bleiben wir optimistisch, dass mit beharrlichem Druck eine transparente und funktionierende Härtefallpraxis im Kanton Basel-Stadt erreicht werden kann.

Zwischenstand zu Papyrus Basel März 2018

Nach der Härtefall-Kampagne Nicht ohne unsere Freund*innen!im Jahr 2016, der in der Folge angedeuteten Veränderungen der Härtefallpraxis in Basel-Stadt und dem im Juni 2017 deutlich überwiesenen Anzug betreffend Legalisierung von Sans-Papiers nach dem Muster des Kantons Genfkann nun eine erste Zwischenbilanz gezogen werden. Aus den beiden Gesprächen mit dem Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) im Juni 2017 sowie im Januar 2018 lassen sich insbesondere drei Schlussfolgerungen ziehen:

1. Keine Opération Papyrus

Als erstes muss festgehalten werden, dass es in Basel keine Opération Papyrus geben wird. In diesem Genfer Modell geht es darum, über die Regularisierung von Sans-Papiers die Schwarzarbeit in Privathaushalten zu bekämpfen und damit den Hausarbeitssektor zu normalisieren. Um diesem öffentlichen Interesse nachzukommen, müsste ein Paket geschnürt werden, welches erstens ein eigenes, vereinfachtes undmit dem SEM abgesprochenes Verfahren enthält, das neben dem normalen Härtefallverfahren läuft, und zweitens den Verzicht auf eine strafrechtliche Verfolgung der regularisierten Personen und ihres Umfelds beinhaltet. Drittens müsste das Ganze explizit als „Opération“, also Massnahme zur Bekämpfung der Schwarzarbeit deklariert werden, bei der Sans-Papiers als Arbeitnehmende und nicht als delinquente Ausländer*innen verstanden werden.

Die Gespräche haben gezeigt, dass bei der Basler Regierung kein Interesse besteht, die Sans-Papiers-Thematik in diesem Sinne zu verstehen und entsprechend zu handeln. Ohne ein solches Paket bezweifeln wir, dass die im Anzug geschätzte Zahl von 350 Gesuchen erreicht werden kann, weil die Sans-Papiers sich unter diesen Bedingungen nicht melden werden.

2. Verbesserungen der Härtefallregelung

Als zweites kann man festhalten, dass sich endlich etwas betreffend der Härtefallpraxis im Kanton Basel-Stadt bewegt. So entwickelt das Migrationsamt ein Merkblatt, auf welchem eine angepasste Praxis festgehalten wird, sowohl hinsichtlich der beurteilten Kriterien wie auch des Verfahrens. Ein solches Merkblatt und die Anpassungen sind ein Fortschritt gegenüber der bisherigen, oft undurchsichtigen Praxis, insbesondere, da die Gespräche darauf hindeuten, dass die Kriterien objektiviert werden und der Aufenthalt während dem Verfahren gesichert ist. Zudem sollen die verschiedenen Abteilungen des Migrationsamts sowie das Polizeikorps für das Thema sensibilisiert werden.

Nun gilt es abzuwarten, wie das Merkblatt konkret aussieht und ob die praktische Umsetzung funktioniert. Dafür braucht es erstens ein Merkblatt, das auch die Interpretation und Gewichtung der Kriterien nachvollziehbar macht. Zweitens ist es notwendig, dass die Praxis mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM), das letztlich die Bewilligungen erteilt, abgesprochen wird. Schliesslich muss sich die Offenheit für die Gesuche in einer positiven Haltung seitens der Behörden gegenüber den Gesuchstellenden zeigen. Die Beteuerungen des JSD, dass die zentrale Aufgabe im Vollzug von Wegweisungen besteht, sowie das Festhalten daran, dass aus den Informationen der Härtefallgesuche Strafanzeigen eingeleitet werden, lassen leider derzeit noch einige Unsicherheiten bezüglich der Offenheit des JSD bestehen.

3. Langer Weg zu einem pragmatischen Lösungsansatz

In den Gesprächen wurde letztlich nochmals deutlich, dass die Regierung die Sans-Papiers nur unter dem Blickwinkel der Bewilligung sieht und entsprechend die zentrale Aufgabe und den entsprechenden Ansatz für die Sans-Papiers-Thematik weiterhin in der Wegweisung von Sans-Papiers und dem Vollzug der Wegweisungen sieht. Sans-Papiers sind für die Regierung weder Arbeitnehmende, noch Teil der Stadt und der Gesellschaft, noch Rechtssubjekte, sondern vor allem delinquente Ausländer*innen. Eine umfassendere Diskussion der Thematik, in die andere – ebenso rechtsstaatliche – Blickwinkel und Aufgabenbereiche Eingang gefunden hätten, war nicht möglich.

Entscheidende Bereiche bleiben entsprechend unangesprochen, so beispielsweise die Einforderung von Rechten (beispielsweise hinsichtlich Opferschutz und Arbeitsrechten) oder die Kriminalität, die durch die Illegalisierung von Menschen begünstigt wird (beispielsweise bei der Ausbeutung am Arbeitsplatz, der Erpressung mit der Denunziation oder dem illegalen Vermieten von Wohnungen). Menschliche und humanitäre Gesichtspunkte sind ausserhalb der nach wie vor strengen Härtefallregelung schon gar nicht thematisierbar. Somit ist klar, dass es noch ein langer Weg zu einem umfassenden Lösungsansatz ist, der die Sans-Papiers-Problematik nicht vergeblich polizeilich, sondern pragmatisch und langfristig angeht.

Die drei Schlussfolgerungen zeigen, dass sich zwar etwas bewegt, aber lediglich hinsichtlich eines rechtsstaatlichen Minimums (Transparenz der Praxis sowie Sensibilisierung der Beamt*innen). Die Bereitschaft für eine umfassendere Diskussion und der Wille zu einem langfristigen Ansatz sind nicht gegeben.

Wenn sich die Unsicherheiten bezüglich der überarbeiteten Härtefallpraxis klären lassen, werden einige Sans-Papiers davon profitieren, und in Einzelfällen kann so der unhaltbare Zustand des jahrelangen illegalisierten Lebens aufgehoben werden. Der Situation, dass Tausende in Basel weiterhin illegalisiert leben und arbeiten und von der Einforderung von ihnen zustehenden Rechten abgehalten werden, wird damit aber nicht begegnet. Es bleibt also wesentlich, weiterhin an Lösungen für all diejenigen, die die strengen Kriterien nicht erfüllen, sowie in Richtung einer kollektiven Regularisierung zu arbeiten.

Forderungen für ein Papyrus Basel vom Mai 2017

Nach der neuesten Studie des Staatssekretariats für Migration leben in der Schweiz um die 76’000 Sans-Papiers und rund die Hälfte davon arbeitet in Privathaushalten. Für die von der Studie ge­schätzte Anzahl Sans-Papiers in Basel von 4000 bedeutet das, dass hier etwa 2000 Hausarbeiterin­nen ohne Bewilligung leben und arbeiten. Dies sind lange nicht alle, aber doch ein bedeutender Teil der hier ohne Bewilligung lebenden Menschen.

Die Nachfrage nach Arbeitnehmenden im Bereich der Hausarbeit, die traditionellerweise von Frau­en und unbezahlt geleistet wurde und wird, steigt zunehmend – sei dies durch die zunehmende Ein­bindung von Frauen in den Arbeitsmarkt, Lohnstrukturen, die das Anstellen von Hausarbeiterinnen ermöglichen, oder durch neue Beziehungsmodelle. Entgegen den Einschätzungen, dass diese Nach­frage von Arbeitskräften aus dem EU/EFTA-Raum bedient werden kann, zeigt sich auch Jahre nach der Öffnung durch die Personenfreizügigkeit, dass nach wie vor ein grosser Teil der bezahlten Hausarbeit unangemeldet und von Arbeiterinnen ohne Aufenthaltsbewilligung verrichtet wird.

Die Sans-Papiers, die diese Arbeit verrichten, leisten viel, sowohl betreffend ihres Aufwands, wie auch hinsichtlich des gesellschaftlichen Nutzens. Nur leisten sie dies alles im Verborgenen. Ein Spiegelbild dafür, dass die traditionell von Frauen verrichtete, gesellschaftlich so wertvolle Haus- und Care-Arbeit weiterhin verkannt bleibt.

Das Leben im Verborgenen zieht viele Probleme mit sich, die uns alle betreffen. So fehlt den Sans-Papiers aufgrund der nicht bezahlten Sozialabgaben der soziale Schutz und gleichzeitig fehlen den Sozialwerken bedeutende Einnahmen. Oft gibt es auch grosse Abhängigkeiten von ArbeitgeberInnen und unzumutbare Arbeitsverhältnisse, die nicht angeklagt werden können. Im Allgemeinen können sich Sans-Papiers nicht wehren, wenn sie Opfer von Missbräuchen und Gewalt sind, was ungeklärte Straftaten zur Folge hat. Im Gegenzug dazu werden die Menschen, die es in ihrem Umfeld gut meinen, kriminalisiert: unterstützende Freundinnen, Vermieterinnen aber auch Arbeitgebende, die das Arbeitsverhältnis regularisieren möchten. Viele Sans-Papiers leiden auch an gesundheitlichen Problemen (Depressionen aufgrund sozialer Isolation und Perspektivenlosigkeit). Nicht zuletzt haben die jugendlichen Sans-Papiers nur sehr beschränkte Möglichkeiten für den Einstieg ins Berufsleben. Diese Verhältnisse müssen geändert werden.

Bei den langjährig hier lebenden Sans-Papiers handelt es sich um Mitglieder unserer Gesellschaft, um Stadtbürgerinnen ohne Status. Eine Aktion im Sinne der Operation Papyrusist gesellschaftlich und volkswirtschaftlich sinnvoll, gleichzeitig aber auch das Mindeste, was das weltoffene Basel tun muss, um dem eigenen Selbstverständnis als humanitäre und soziale Stadt gerecht zu werden. Es wäre eine pragmatische Anerkennung der gesellschaftlichen Realität und ein Schritt dazu, eine Normalisierung des Hausarbeitssektors zu bewirken.

Zu unterstreichen ist, dass die Operation Papyrusin Genf nicht gegen das geltende Ausländergesetz verstösst. Die zu erfüllenden Kriterien entsprechen der Gesetzgebung und wurden mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM) ausgehandelt. Sie sind sehr restriktiv und jedes Gesuch wird weiterhin einzeln geprüft, weshalb nicht von einer „kollektiven Regularisierung“ gesprochen werden kann.

Schliesslich gibt es keine Gefahr für einen Sogeffekt, da nur sehr wenige Sans-Papiers davon profitieren und die meisten ihre Arbeitsverhältnisse nach der Regularisierung beibehalten.

Eine Aktion nach dem Genfer Modell würde verschiedene Schritte und Massnahmen mit sich ziehen:

  1. die Nutzung der Härtefallregelung zur Regularisierung der Sans-Papiers
    • nach klaren Kriterien: 5 Jahre Aufenthalt für Familien mit eingeschulten Kindern, 10 für alle anderen; finanzielle Selbstständigkeit; erfolgreiche Integration, aufgezeigt durch A2-Zertifikat auf Deutsch; Absenz von strafrechtlichen Verurteilungen, Angabe aller Arbeitsverhältnissen
    • nach einem vereinfachten Verfahren: Formular mit Beilagen
  2. die Möglichkeit einer sicheren Anmeldung der Arbeitsverhältnisse
    • mittels einer firewall, die eine anonyme Anmeldung bei den Sozialversicherungsbehörden ermöglicht
    • mittels der Möglichkeit für die Arbeitgebenden, die Arbeitsverhältnisse auch nachträglich anzumelden
    • mittels der Zusicherung seitens des Migrationsamts und der Strafverfolgungsbehör­den, dass bei erfolgter Anmeldung keine Strafverfolgung aufgenommen wird
    • mittels der Schaffung einer privaten Organisation, welche administrative Hilfe bei der Anmeldung und Abwicklung der Sozialversicherungsabgaben bietet und Arbeit­geberInnen gleichermassen betreffend der Arbeitsrechte und -verhältnisse berät (in Anlehnung an das Modell des Chèque Service aus Genf)
  3. der Schutz von regularisierten Sans-Papiers, die ihre Arbeitsverhältnisse bei nicht-kooperativen Arbeitgeberinnen verlieren
    • durch eine klare Haltung, dass die Anmeldung der Arbeitsverhältnisse schlussendlich in der Verantwortung der Arbeitgebenden ist
    • durch Unterstützung bei der Suche nach neuer Arbeit mit einer speziellen Jobbörse für den Hausarbeitssektor
    • durch die Zusicherung, dass sie bei Arbeitslosigkeit ihre Bewilligungen nicht direkt wieder verlieren
  4. die Information von Arbeitgeberinnen in Haushalten, dass und wie sie die Arbeitsverhältnisse anmelden sollen
    • mit einer Öffentlicheitskampagne
    • mit geeigneten Informationsmaterialen
    • mit der klar kommunizierten Haltung der Behörden, dass Arbeitgebende, welche die Arbeitsverhältnisse anmelden wollen, unterstützt werden